Prof. Dr. David L. Hoggan: Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs -7-
Ursachen 2. Weltkrieg: Vorgeschichte WK2 Wie ist der 2 Weltkrieg entstanden? Was ist im Zweiten Weltkrieg passiert? Wann wurde der 2 Weltkrieg zum Weltkrieg? Eine spannende Artikel-Serie, di... Read more
Prof. Dr. David L. Hoggan: Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs -6-
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Prof. Dr. David L. Hoggan: Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs -2-
Ursachen 2. Weltkrieg: Vorgeschichte WK2
Wie ist der 2 Weltkrieg entstanden?
Was ist im Zweiten Weltkrieg passiert?
Wann wurde der 2 Weltkrieg zum Weltkrieg?
Eine spannende Artikel-Serie, die nicht nur jenen zu empfehlen ist die ihr Schulbuch-Geschichtswissen schon immer in Zweifel zogen, sondern gerade denen, die die Ereignisse, die zum 2. Weltkrieg führten, bisher unkritisch aufnahmen ohne sie zu hinterfragen.
Sie werden viele Parallelen zu den Aktionen, gerade der angelsächsischen Staaten USA und Großbritannien, aber auch Frankreichs erkennen, die auch heute noch darum bemüht sind, anderen Völkern, ohne von diesen in irgendeiner Form bedroht worden zu sein, ihre Sicht der Dinge aufzuzwingen, wenn nötig mit kriegerischer Gewalt.
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DER ERZWUNGENE KRIEG
Die Ursachen und Urheber des 2. Weltkriegs
Prof. Dr. David L. Hoggan
DER NEUE POLNISCHE STAAT
Polnische Expansion nach dem 1. Weltkrieg
Pilsudski kam es zugute, daß andere Polen während seiner Internierung in Deutschland nichts Bedeutendes zu erreichen vermochten. Er wurde während der deutschen Revolution entlassen und kehrte eiligst nach Polen zurück. Am 14. November 1918 übertrug der Kronrat seine Vollmachten an Pilsudski und die Polen, die sich trotz der ernsten wirtschaftlichen Lage in einem nationalen Freudenrausch befanden, standen vor ganz neuen Aufgaben.
Pilsudski war sich der Tatsache bewusst, daß nun Machtkämpfe unter den politischen Parteien entbrennen würden. Sein erster Schritt war, die Polnische Sozialistenpartei (PPS) Kongreßpolens und die Sozialdemokratische Partei (PPSD) Galiziens unter seiner Führung zu festigen“.
Pilsudski hatte einen bedeutenden taktischen Vorteil, den er äußerst geschickt wahrzunehmen wußte. Er war Sozialist und hatte für die Deutschen gekämpft. Seine politischen Hauptgegner, die Nationaldemokraten, waren bei den Westmächten angesehen. ln dem Waffenstillstandsabkommen mit
Deutschland im November 1918 wurde Polen nicht erwähnt und bald danach begann eine langwierige Friedenskonferenz. In Versailles galt Pilsudski als persona non grata. Bereitwillig drückte er den Nationaldemokraten sein Vertrauen für ihre Verhandlungsbemühungen in Paris um eine polnische Einheitsfront aus. Nicht er, sondern seine Gegner hatten die Aufgabe. Vorteile für Polen bei der Friedenskonferenz zu erwirken.
Doch mussten diese Bemühungen mit Sicherheit dazu führen, dem Ansehen seiner Gegner zu schaden, da die polnischen Forderungen so maßlos waren, dass ihre Erfüllung nahezu unmöglich wurde. Pilsudski hatte also freie Hand, sich der inneren Lage Polens zuzuwenden. Er nutzte seine Zeit gut und verlor keinen Augenblick die polnische Initiative, die er wahrend jener Tage gewonnen hatte. Seiner Sache diente ein Abkommen mit den Deutschen, das er bereits am 10. November 1918, also vor dem Waffenstillstand im Westen, geschlossen hatte.
Nach diesem Abkommen sollten die Besatzungstruppen mit ihren Waffen abziehen, um sie an der Grenze niederzulegen (deutsch-kongreßpolnische Grenze, die in Brest-Litowsk 1918 bestätigt wurde). Diese Operation wurde genau am 19. November 1918 abgeschlossen, wobei man die Abmachungen auf beiden Seiten gewissenhaft erfüllte.
Der polnische Nationalausschuss in Paris unter dem Vorsitz von Dmowski und seinen Nationaldemokraten befand sich in einer wesentlich ungünstigeren Lage. Die Diplomaten Englands und Frankreichs behandelten die Polen mit Herablassung und Ministerpräsident Clemenceau machte Paderewski, dem Hauptmitarbeiter Dmowskis bei den Friedensverhandlungen, klar, daß Polen seine Unabhängigkeit nach seiner Ansicht den Opfern der Alliierten verdanke (sic!). Die polnischen Unterhändler waren überdies mit der Judenfrage belastet. Sie sahen sich vor Forderungen amerikanisch-jüdischer Gruppen gestellt, deren Plan es war, einen selbständigen jüdischen Staat innerhalb Polens zu gründen.
Präsident Wilson stand diesen Forderungen durchaus wohlwollend gegenüber. Er betonte am 1. Mai 1919 vor dem Rat der Vier (USA, Großbritannien, Frankreich, Italien), dass „die Juden in Polen etwas ungastlich behandelt werden”. In einem Memorandum vom 15. Juni 1919 erklärte Paderewski die polnische Haltung zur Judenfrage dahingehend, dass die Juden Polens die polnische Sache bei „vielen Anlässen” als verloren betrachtet und sich auf die Seite der Feinde Polens gestellt hätten. Zuletzt wurden die meisten der jüdischen Forderungen eingeschränkt; immerhin zwang der Artikel 93 des Versailler Vertrages die Polen, sich mit einem Sonderabkommen für Minderheiten einverstanden zu erklären, was ihnen im höchsten Maße mißfiel.
Ohne Lloyd George hätten die polnischen Unterhändler die Erfüllung ihrer extremen Forderungen an Deutschland erreicht, denn Präsident Wilson und die Franzosen waren ursprünglich geneigt, alles zu bewilligen, was sie gefordert hatten. Dmowski verlangte die Grenzen von 1772 im Westen, ferner das deutsche Industriegebiet in Oberschlesien, schließlich die Stadt Danzig und die südlichen Randgebiete Ostpreußens. Darüber hinaus forderte er die Bildung eines separaten Staates aus dem restlichen Ostpreußen, der unter polnischer Aufsicht stehen sollte, und später verlangte er noch einen Teil Mittel-Schlesiens für Polen.
Bald aber begann Lloyd George, sich gegen die Haltung der Polen zu stellen, und bemühte sich, mäßigend auf Wilson einzuwirken.
Klar erkannte er, dass Italien sich gleichgültig verhielt und dass Frankreich nicht in der Lage war, einem gemeinsamen anglo-amerikanischen Plan Widerstand zu leisten.
Lloyd George hatte die polnischen Forderungen in vieler Hinsicht abgeschwächt, bevor der ursprüngliche Vertragsentwurf den Deutschen am 7. Mai 1919 vorgelegt wurde. Für die südlichen Gebiete Ostpreußens war ein Volksentscheid vorgesehen. Der freibleibende Rest dieser Provinz sollte ungeachtet des Ergebnisses bei Deutschland bleiben. Wesentliche Einschränkungen wurden zugunsten Deutschlands in Pommern vorgenommen. Danzig sollte Schutzgebiet des Völkerbundes werden und nicht an Polen fallen. Ferner richtete Lloyd George sein Augenmerk auf Oberschlesien, nachdem die Deutschen Einwände gegen den Vertrag erhoben hatten. Wilsons fachlicher Berater für Polen, Professor Robert Lord von der Harvard-Universität. bemühte sich sehr um die Beibehaltung der Bestimmung, die die Übergabe dieses Gebietes an Polen ohne Volksabstimmung vorsah. Lloyd George setzte sich jedoch energisch für die Volksabstimmung ein und hatte schließlich damit auch Erfolg
Die endgültigen Vertragsbestimmungen gaben Polen mehr, als es verdiente, und mehr, als es hätte fordern dürfen. Der größte Teil Westpreußens, der bei der letzten Volkszählung eine deutsche Mehrheit aufwies, wurde Polen ohne Volksentscheid überlassen, dazu erhielt es noch das reichste Industriegebiet in Oberschlesien, obwohl die dort abgehaltene Volksbefragung gegen Polen ausfiel.
Die Schaffung eines Völkerbund-Schutzgebietes für die sehr nationalbewußte deutsche Stadt Danzig war ein unheilvolles Unterfangen; ein polnischer Freihafen in einem deutsch regierten Danzig wäre weitaus gerechter gewesen. Die Kardinalfehler des Vertrages waren; die Bildung des Korridors, die sogenannte Freistadt Danzig und die teilweise Überlassung Oberschlesiens an Polen. Diese Fehler wurden zugunsten Polens und zum Nachteil Deutschlands begangen, aber sie brachten beiden Ländern Schaden. Jedes Bemühen um einen dauerhaften Frieden in den deutsch-polnischen Grenzgebieten war angesichts dieser Bedingungen unmöglich.
Die Versailler Regelung widersprach außerdem dem Punkt dreizehn der vierzehn Punkte Wilsons, die mit Ausnahme von Punkt zwei ein feierliches Vertragsabkommen der Alliierten darstellten, das sie mit den Deutschen über die Friedensbedingungen ausgehandelt hatten, als sie noch Herr ihrer Entschlüsse waren und in Waffen standen. Die Verletzung dieser Bedingungen zu einem Zeitpunkt, da das wehrlose Deutschland in den Ketten eines Waffenstillstandes lag, gipfelte in einem regelrechten Betrug der USA und der alliierten Westmächte, wie er kaum noch übertroffen werden konnte. Die Vereinigten Staaten zeigten sich in dieser unheilvollen Lage insofern etwas einsichtiger, als sie 1919 wie auch 1920 davon Abstand nahmen, den Vertrag von Versailles zu ratifizieren. Die polnischen Unterhändler aber büßten nach ihrer Rückkehr jedes Ansehen ein. Waren sie doch mit ihren ursprünglichen Forderungen, die man in ganz Polen veröffentlicht hatte, erfolglos geblieben.
Was Pilsudski in dieser Lage mit Genugtuung erfüllte, war die Verwirrung Russlands, die die alliierten Diplomaten veranlasste, das Gespräch über die polnische Ostgrenze zu vertagen. Pilsudskis Streben zielte mehr auf eine Ausdehnung nach Osten als nach Westen, ein Ziel, für das sich Dmowski einsetzte. Da in Paris jedoch keinerlei Entscheidung über den Status quo im Osten gefallen war, ergab sich für Pilsudski die willkommene Gelegenheit, sein eigenes Programm in diesem Gebiet zu verwirklichen.
In Polen hatte inzwischen die linksradikale Flut zugenommen, was Pilsudski aber nicht sonderlich beunruhigte, Er ließ es zu, dass Moraczewski, ein aufrichtiger Marxist, eine Regierung bildete. Am 28. November 1918 erließ die Regierung ein Wahlgesetz, das Verhältniswahlen und allgemeines Wahlrecht vorsah Im Hintergrund aber arbeitete Pilsudski mit allen Mitteln gegen die Regierung und ermunterte seine Anhänger in der Armee, Widerstand gegen sie zu leisten. Er wusste, dass auch die Nationaldemokraten den Sozialismus ablehnten und spielte sie gegen Moraczewski aus.
Am 4. Januar 1919 als Roman Dmowski in Paris weilte, unternahmen die Nationaldemokraten den kühnen Versuch, Moraczewski durch einen sehr schlecht geplanten Staatsstreich abzusetzen. Pilsudski stellte sich hinter die Regierung und die Nationaldemokraten zogen den kürzeren, nachdem ihre Revolte niedergeschlagen worden war. Pilsudski hatte eine Abneigung gegen parlamentarisch-politische Händeleien und zog es vor, den größten Teil dieser ihm verhaßten Aufgaben seinem Freund und politischen Experten Walcry Slawek zu überlassen. So konnte er sich sehr bald der polnischen Armee und der Außenpolitik zuwenden. Es gelang ihm, viele bedeutende Gegner für sich zu gewinnen, darunter Eduard Rydz-Smigly. der im November 1918 Ilmberg im Kampf gegen die Ukrainer eingenommen hatte. Rydz-Smigly wurde später der Nachfolger Pilsudskis als Marschall von Polen.
An der militärischen Front waren verschiedene Aktionen angelaufen. Am 6. Dezember 1918 hielten die Nationaldemokraten einen Slask-Pomorze-Poznan-Kongreß ab (Schlesien, Westpreußen, Posen) mit dem Ziel, sich der deutschen Ostprovinzen zu bemächtigen; sie hofften, die Friedenskonferenz in Paris vor vollendete Tatsachen stellen zu können. Einige Wochen später kam Ignaz Paderewski auf seiner Reise von London nach Warschau durch Posen, wo während seines Aufenthaltes ein Aufstand ausbrach. Danach drängten die Polen in einer Reihe erbitterter Kämpfe die einheimische deutsche Freiwilligenmiliz aus dem größten Teil der Provinz hinaus. Im Januar 1919 räumten die Deutschen die alte Hauptstadt Litauens, Wilna, und polnische Truppen rückten ein. Als die bolschewistische Armee dann durch das Gebiet zog, verloren die Polen Wilna, aber die Deutschen hielten den roten Vormarsch in Grodno auf.
Die Nationaldemokraten beherrschten die polnische Westfront und Pilsudski den Osten. Die Nationaldemokraten waren in erster Linie auf einen Kampf gegen Deutschland aus. Pilsudskis Streben dagegen galt der polnischen Ausdehnung nach Osten und einer Föderation mit den Nachbarländern unter polnischer Herrschaft.
Am 19. April 1919 gewannen die Polen Wilna zurück und Pilsudski erließ einen Aufruf. Dieser war nicht, wie es die Nationaldemokraten getan hätten, an die dort ansässigen Polen gerichtet, sondern „an das Volk des Großherzogtums Litauen”, und sprach liebenswürdig von der Anwesenheit polnischer Truppen „in ihrem Lande”. Gleichzeitig forderte Pilsudski die Ukrainer und Weißrussen auf, sich auf die Seite Polens zu stellen. Er gedachte, seine föderative Politik voranzutreiben, solange Rußland noch schwach war und so den russischen Machteinfluss auf ein Mindestmaß herabzusetzen.
Pilsudskis wachsendem Einfluss im Osten wurde von den Nationaldemokraten erbittert entgegengewirkt. In ihren zahlreichen Presseorganen prangerten sie ihn als einen antikirchlichen Radikalen an, der unter jüdischem Einfluss stünde. Mit Recht behaupteten sie, das Land sei für ein größeres militärisches Unternehmen im Osten nicht vorbereitet. Sie klagten, dass die weitere Einverleibung von Minderheiten den Staat schwächen würde und folgerten, daß Pilsudski eine furchtbare Bedrohung für Polen sei. Pilsudski seinerseits appellierte sehr geschickt an die antideutsche Einstellung seiner Gegner und ihrer Anhänger.
Er warnte, Russland und Deutschland hätten sich zu einer riesigen Verschwörung zusammengetan, um Polen zu vernichten; die Russen zurückzuwerfen und so Vergeltung zu üben, sei die einzige Rettung. Mit allen Mitteln versuchte er, die Begeisterung des müde gewordenen Polenvolkes für seine östlichen Pläne zu wecken.
Ferner tat er alles in seiner Macht Stehende, das wachsende Nationalbewusstsein der Litauer, die sich gegen jede Form einer Vereinigung mit Polen sträubten, einzudämmen. Bis zum 17. Juli 1919 hatten polnische Truppen die ukrainischen Nationalstreitkräfte aus dem letzten Winkel des früheren österreichischen Gebietes von Ostgalizien vertrieben. Danach war es für Pilsudski verhältnismäßig einfach, mit Simeon Petljura, dem ukrainischen Sozialistenführer, der von den Bolschewisten hart bedrängt wurde, zu einem Einvernehmen zu gelangen.
Pilsudski war der Ansicht, dass es Petl|ura eher als Skoropadski, dem früheren ukrainischen Diktator, gelingen würde, ukrainische Hilfstruppen aufzusteilen. Ständig überlegte er, wie er die Bolschewisten vernichtend schlagen könne, nachdem sie den größten Teil des Jahres 1919 hindurch unter dem harten Druck der weißrussischen Truppen General Denikins gestanden hatten, er verhandelte mit Denikin, legte sich aber 1919 noch nicht fest unter dem Vorwand, die polnischen Truppen seien nicht einsatzbereit. Viel mehr noch als den Bolschewismus fürchtete er einen Sieg des weißrussischen Regimes, das die russischen Nationalbestrebungen nach Westen auf Kosten Polens Wiederaufleben lassen würde.
Wahrend Pilsudski plante und seinen Schlag gegen die Bolschewisten aufschob, wuchs seine Abneigung gegen die parlamentarische Regierungsform angesichts des ersten Sejm (Volksvertretung), der am 26. Januar 1919 gewählt worden war. Zwei Koalitionsgruppen der Nationaldemokraten entsandten 167 Abgeordnete.
Die polnische Bauernpartei, die hinter Dmowskjs Außenpolitik stand und Pilsudski bekämpfte, wählte 85 Vertreter. Diese drei Gruppen von Pilsudski-Gegnem erhielten 260 der 415 Sitze im Sejm. Viele der übrigen Abgeordneten, die eine große Zahl von Parteien vertraten, waren entweder Deutsche oder Juden. Diese Wahlergebnisse waren keine Zufallserscheinung, sondern brachten die polnische Auffassung, wie sie sich über einen langen Zeitraum hin entwickelt hatte, zum Ausdruck. Es lag auf der Hand, dass diese Situation nicht ohne eine schwerwiegende Manipulation des Wahlsystems geändert werden konnte. Kein Politiker vom Schlage eines Pilsudski konnte ein Wahlsystem gutheißen, das ihm seine eigene Unbeliebtheit bescheinigte. Seine natürliche Neigung zur autoritären Herrschaftsform wurde durch seine Erfahrung mit parlamentarischer Politik im eigenen Lande noch gesteigert.
Bis zum Juni 1919 war man in der polnischen Öffentlichkeit äußerst unzufrieden mit den Bedingungen des Versailler Vertrages. Die Polen waren bestürzt im Hinblick auf eine Volksabstimmung in Oberschlesien. Sie hatten zwar die Behauptung aufgestellt, dass die meisten Oberschlesier sich für Polen entscheiden würden; aber insgeheim waren sie sich klar darüber, dass in einer freien Wahl die weitaus größere Mehrheit für Deutschland stimmen würde.
Große Erregung herrschte unter den Polen auch über die Absicht der Alliierten, die Tschechen in ihrem Versuch zu unterstützen, sich gewaltsam das von verschiedenen Volkstumsangehörigen bewohnte und reiche Industriegebiet von Teschen anzueignen. Adalbert Korfanty, der alte Nationaldemokratenführer, begann Polens Pläne in Oberschlesien mit Terror und Einschüchterung einzuleiten. Der französische Befehlshaber der alliierten Besatzungstruppen, General Le Rond, stellte sich auf die Seite der eindringenden polnischen Freibeuterscharen. Die italienische Besatzung in Oberschlesien wurde von den Polen angegriffen und erlitt schwere Verluste, weil sie versucht hatte, Sich dem illegalen polnischen Vormarsch zu widersetzen. Während der Jahre 1919/20 war man in Polen überall von der Sinnlosigkeit der Verzweiflungskampagne in Oberschlesien überzeugt. Den unerwarteten Lohn dafür bekam man erst 1922.
Diese für die Polen sehr empfindlichen Rückschläge im Westen führten zu der Forderung nach wirksamen Aktionen im Osten. Gegen Ende des Jahres 1919 war bereits ein allmählich wachsendes Interesse an Pilsudskis weiteren Vorbereitungen für eine Aktion im Osten zu bemerken. Der hohe Adel in den Ostgebieten wurde zum Anführer vieler Unruhen, jedoch spürte man auch in den übrigen Teilen des Landes die Bereitschaft, Pilsudskis Vorhaben zu unterstützen. Im Oktober 1919 schloss er mit Petljura einen zweiten Pakt, nach dem weiteres ukrainisches Gebiet östlich der alten Grenze zwischen Rußland und Österreichisch-Galizien polnisch werden sollte und der so einen unabhängigen ukrainischen Staat im Osten eng mit Polen verband.
Die Niederlage Denikins im Dezember 1919 war ein Signal für die Bolschewisten, dass sich bald größere Auseinandersetzungen mit Polen entwickeln würden als die früheren gelegentlichen Feindseligkeiten, die sich von Lettland bis in die Ukraine ausgedehnt hatten. Am 28. Januar 1920 boten die Bolschewisten Pilsudski eine günstige Waffenstillstandslinie an in der Hoffnung, Zeit gegen Land einhandeln zu können. Pilsudski ließ sich davon nicht sonderlich beeindrucken, trotz der Tatsache, dass die Alliierten seine Pläne missbilligten.
Am 13. März 1920 ließ Pilsudski die Alliierten mit Nachdruck wissen, dass er von den Bolschewisten das Recht fordern würde, über das Gebiet westlich der polnisch-russischen Grenze von 1772 zu verfügen. Diese Grenze verlief weiter östlich als die von den Bolschewiken vorgeschlagene Linie, und es lag auf der Hand, dass damit ein entscheidender Konflikt heraufbeschworen wurde.
Pilsudski und Petljura begannen ihre Offensive am 26. April 1920, um die Bolschewiken aus der Ukraine zu vertreiben. Das Kabinett Skulski, Nachfolger der Regierungen Moraczewski und Padcrewski, wagte nicht, sich Pilsudskis Plänen zu widersetzen; Außenminister Patek billigte Pilsudskis Ostprogramm in aller Öffentlichkeit. Die polnischen Truppen errangen unter dem Befehl von General Rydz-Smigly sichtbare Erfolge und am 8. Mai drang eine polnische Vorhut in einem Straßenbahnwagen bis zum Zentrum von Kiew, der ukrainischen Hauptstadt, vor. Mit großem Pomp wurde am 18. Mai 1920 der Sieg von Kiew in der St. Alexander-Kirche von Warschau gefeiert und Pilsudski der alte Siegeslorbeer von Stephan Bathory und Wladislaus IV. Überreicht.
Russland lag jedoch weniger darnieder als in der „Zeit der Wirren” (Smetnoje Wrcmja) im 17. Jahrhundert und die Träume vom polnischen Imperialismus wurden sehr bald unter den Hufen von Budjonnys Roter Armee zerstampft. Die strategische Gegenoffensive der Russen, die Polen zu umgehen, war ein voller Erfolg. Die militärischen Rückschläge führten zu einer Kabinettskrise und die Regierung Skulski wurde zum Rücktritt gezwungen.
Am 24. Juni 1920 bildete Wladislaw Grabski, ein Nationaldemokrat und erbitterter Gegner Pilsudskis, die Regierung. Sein erster Schritt war, nach Belgien zu reisen und das westlich alliierte Oberkommando um Hilfe anzugehen. Bis zu Grabskis Ankunft in Spa am 10. Juli waren die Russen aus zwei Richtungen tief nach Polen eingedrungen. Einer ihrer Armeen war der Durchbruch durch die alte Verteidigungslinie am Njemen gelungen, während die andere auf Lemberg zu marschierte. Die schlecht disziplinierten Russen waren jedoch infolge ihres raschen Vormarsches völlig in Auflösung geraten, während es die oberen militärischen Führer wegen kleinlicher Eifersüchteleien an Zusammenarbeit fehlen ließen.
Pilsudski hatte eine gute Stütze an der fachmännischen Beratung General Weygands und anderer französischer Offiziere, als er die Polen am 16. August 1920 zum Sieg von Warschau führte. Der bekannte polnische Ausspruch „Das Wunder an der Weichsel” stammt von dem Nationaldemokraten Professor Stanislaus Stronski und wollte besagen, dass jener polnische Sieg unter Pilsudskis Führung ein Wunder war.
Der Sieg an der Weichsel erhöhte Pilsudskis Ansehen beträchtlich, festigte seine Stellung und machte ihn zum stärksten Mann Polens. Doch die Gegner Pilsudskis blieben in der Regierung und die allgemeine Unzufriedenheit über den Krieg wuchs. Pilsudski hatte die Absicht, nach dem russischen Rückzug noch einmal nach Osten zu ziehen und einen zweiten Feldzug gegen Kiew zu unternehmen, es wurde ihm aber klar, daß das mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung des vom Krieg zermürbten Polens unmöglich war.
Jan Dabski, von der Regierung dazu ausersehen, als Chefdelegierter mit den Russen zu verhandeln, war ein erbitterter Kritiker der Politik Pilsudskis und stand unter dem Einfluß Dmowskis. Dmowski widersetzte sich dem Gedanken einer Föderation mit den Weißrussen und Ukrainern, glaubte aber, daß Polen wesentliche Teile der Völker aus den Gebieten assimilieren könne, die ehemals unter polnischer Herrschaft gestanden hatten. Demgemäß wurden in dem Rigaer Frieden Anfang 1921 die weißrussischen und ukrainischen Gebiete zwischen der Sowjetunion und Polen aufgeteilt, wobei der größte Teil beider Gebiete an die Sowjetunion ging. Föderalismus wurde als Sofortprogramm aufgegeben und Pilsudskis Anhänger wechselten zu Dmowskis Programm der Minderheiten-Assimilation hinüber.
Das polnische Volk beklagte unter dem Einfluß der romantischen Gedankenwelt Heinrich Sienkiewicz, des bekannten polnischen Dichters, den Frieden von Riga, der ihm gleichbedeutend mit dem Verlust seiner alten Ostgebiete war. Pilsudski selbst teilte diese Meinung und rügte in seiner Vorlesung vom 24 August 1923 den Mangel an moralischer Starke im Land, der es Polen versäumen ließ, 1920 die Ukraine nach dem Sieg bei Warschau zu erobern.
Die Anhänger Dmowskis erhitzten sich an dem Fehlschlagen vieler ihrer Bestrebungen gegen Deutschland im Westen. Niemand in Polen schien rnit den Grenzen, die man für den neuen Staat gewonnen hatte, zufrieden zu sein, obwohl eine Vielzahl ausländischer Beobachter, ob nun freundlich oder feindlich eingestellt, der Ansicht war, dass Polen viel mehr Land erhalten hatte, als es verkraften konnte. Bald zeigte sich, dass die Nachkriegsentwicklung und die polnische Expansion in dem Frieden von Riga und der Teilung Oberschlesiens ihr Ende gefunden hatten. Polen hatte die Grenze seiner Möglichkeiten erreicht, den Wirrwarr nach dem 1. Weltkrieg für sich auszunutzen. Es stand nun vor der Wahl, sich mit seinem Gewinn zu begnügen und zu versuchen, alles oder den größten Teil davon zu behalten, oder abzuwarten, bis sich eine neue Gelegenheit bot, seine unbefriedigten Wünsche weiter zu verwirklichen. Der Kurs seiner Außenpolitik hing von dem Ausgang der innenpolitischen Machtkämpfe ab.
Während des russisch-polnischen Krieges hatten die Tschechen ihre Herrschaft über den größten Teil des reichen Teschener Industriegebiets gefestigt, und die Litauer hatten — mit Duldung der Bolschewiken — Wilna zurückerobert. Die Tschechen standen in einem ausgezeichneten Verhältnis zu den Alliierten und genossen die starke Unterstützung der Franzosen. Die tschechischen Führer hatten auch keineswegs ihr Wohlwollen und ihre Freundschaft gegenüber dem bolschewistischen Russland während der russisch-polnischen Auseinandersetzung verhehlt; sie hatten darüber hinaus alles in ihrer Macht Stehende getan, um zu verhindern, dass alliiertes Kriegsmaterial nach Polen ging.
Die Polen waren nicht in der Lage, unmittelbar Vergeltung an den Tschechen zu üben, aber als der Völkerbund am 8. Oktober Wilna an Litauen zurückgab, bemächtigten sich einheimische polnische Streitkräfte unter General Zeligowski auf Befehl Pilsudskis der alten Hauptstadt Litauens. Die Litauer erhielten keine Hilfe vom Völkerbund. Sie weigerten sich, die polnische Machtergreifung anzuerkennen und protestierten durch Abruf ihrer Diplomaten in Polen und durch Schließen der Grenze nach Polen.
Die sowjet-polnische Grenze war ebenfalls geschlossen und so erstreckte sich ein lang vorspringender polnischer Landstrich ohne jegliche Wirtschaftsausgänge bis zur Düna und nach Lettland. Die Litauer rächten sich am Völkerbund, der ihnen keine Unterstützung gewährt hatte, durch die Besetzung der deutschen Stadt Memel, die der Völkerbund, ähnlich wie Danzig 1920, zu seinem Protektorat erklärt hatte.
Ein trauriger Beweis der Ohnmacht des Deutschen Reiches, dass ein winziges, eben entstandenes Land nach einer alten preußischen Stadt greifen konnte; auch zeigte es das problematische Wesen der vielgepriesenen internationalen Organisation Woodrow Wilsons, des Völkerbunds.
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